Warum mich in Kambodscha ein kleiner Bub anbrüllt

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tom
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Warum mich in Kambodscha ein kleiner Bub anbrüllt

#1

Beitrag von tom »

«Fuck you, man! Fuck you!»: Warum mich in Kambodscha ein kleiner Bub anbrüllt

Thomas Schlittler

Ich bekomme regelmässig Videos von meinem neun Monate alten Neffen Elias. Meist dienstags, wenn meine Schwester arbeitet und meine Eltern ihn hüten. Elias beim Baden, Elias mit einer Plüschtier-Eule, Elias mit Bauklötzen, Elias das erste Mal im Schnee.

Es ist schön, den Kleinen zumindest auf Bildern aufwachsen zu sehen. Wegen der Videos fährt es mir in Kambodscha aber auch umso mehr ein, wenn ich den vielen Kindern begegne, die nicht eine derart unbeschwerte Kindheit haben wie er in der Schweiz.

1,5 Millionen Kinder in Kambodscha leben unter prekären Umständen

Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF) schätzt, dass es in Kambodscha – einem Land mit rund 15,4 Millionen Einwohnern – 1,5 Millionen Kinder gibt, die unter prekären Umständen leben. Viele davon haben keine Eltern mehr. Das heisst, sie sind nicht oder kaum geschützt vor Gewalt, Missbrauch, Ausbeutung oder Verwahrlosung.

Dieses Problem ist auch beim weltberühmten Tempelkomplex Angkor offensichtlich. «Sir, Sir, you want postcard?», fragt mich ein kleines Mädchen. Nein, danke, sage ich und laufe weiter. Als sie hartnäckig an meiner Seite bleibt, sehe ich mir doch ein paar Sujets an. Beim Betrachten der Karten frage ich die Kleine, ob sie zur Schule gehe. «No, no school», antwortet sie kopfschüttelnd. Die paar Brocken Englisch hat sie im täglichen Kontakt mit den Touristen gelernt.

«Denk nach, bevor du bettelnden Kindern Geld gibst!»

Mir kommt der Slogan eines Kinderhilfswerks in den Sinn, den ich am Abend zuvor in einem Restaurant gelesen habe: «Denk nach, bevor du bettelnden Kindern Geld gibst!» Wer das tue, ermuntere diese – und vor allem deren Eltern – weiterhin dem schnellen Geld nachzujagen, anstatt eine Ausbildung in Angriff zu nehmen.

Die Kleine bettelt zwar nicht, sondern verkauft Postkarten. Die Konsequenz ist aber die gleiche: Sie geht nicht zur Schule. Ich blicke ihr deshalb in ihre dunklen, traurigen Augen und sage: «Es tut mir leid, aber ich kaufe nichts.» Sie läuft mir noch ein paar Minuten hinterher, gibt dann frustriert auf und sagt wütend: «Wieso haben Sie die Karten dann überhaupt angeschaut? Sie sind verrückt!»

«Eine Packung Milchpulver für meine kleine Schwester»

Einen Tag später in Siem Reap, der Kleinstadt, in der die tausenden Tempelbesucher übernachten, beschimpft mich erneut ein Kind. In der sogenannten Pub Street, in der es sich die Touristen aus aller Welt gut gehen lassen, spricht mich ein Bub an: «Sir, bitte kaufen Sie mir eine Packung Milchpulver für meine kleine Schwester. Wir haben kein Geld.»

Ich schaue in sein Gesicht und bin schockiert. Seiner Körpergrösse nach zu urteilen, kann er kaum älter als zehn Jahre sein, doch er hat die Haut eines Erwachsenen, der in seinem Leben zu viel getrunken und geraucht hat. Ich bin mir sicher, dass der Junge drogenabhängig ist. In seinen Augen fehlt das Leuchten, das Kinderaugen normalerweise so einzigartig macht.


Der Kleine wird aggressiv, wie ich es noch nie bei einem Kind erlebt habe

Ich will ihm kein Milchpulver kaufen. Denn ich weiss, dass er im Laden einfach auf das teuerste Produkt zeigen wird – nur um wenige Minuten später zurückzukehren, um sich vom Verkäufer gegen eine Provision den Kaufpreis zurückerstatten zu lassen. Es würde ihn also ebenfalls dazu ermuntern, weiterhin zu betteln – und nicht zur Schule zu gehen.

Ich sage deshalb auch ihm: «Es tut mir leid, aber ich kann dir nichts kaufen.» Daraufhin wird er so aggressiv, wie ich es von Kindern noch nie erlebt habe. Er brüllt mir nach: «Du bist ein schlechter Mann. Fuck you, man! Fuck you!» Dann läuft er weg.

Der Knoten in meinem Magen bleibt ...

Mit einem grossen Knoten im Magen laufe ich in mein Hostel zurück. Aus den unzähligen Bars dröhnen laute Musik sowie das Stimmengewirr und Gejohle der Touristen. Im Bett rasen in meinem Kopf die Gedanken: War es falsch, dem Jungen nichts zu kaufen? Wäre es nicht besser gewesen, als gar nichts zu tun? Was nützt es ihm überhaupt, wenn er zur Schule geht? Um danach keinen Job zu finden? Braucht er wirklich eine Ausbildung, um danach wie alle anderen Tuk-Tuk-Fahrer zu werden?

Und vor allem: Was hätte ich sonst tun sollen?

Quelle und Bilder: http://www.watson.ch/!474643770?utm_med ... e-tracking
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ZH-thai-fun
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Re: Warum mich in Kambodscha ein kleiner Bub anbrüllt

#2

Beitrag von ZH-thai-fun »

Tom, solches hat mich vor allem in meiner Thailand-Zeit begleitet und berührt um nicht zusagen getrübt.
Du weist ja das ich für mich viel schreibe und auch schon einige dieser "Kurz-Geschichten" von selbst erlebtem schon in Foren eingebracht habe.

Da gibt es z. B. meine nicht veröffentlichte Kurz-Geschichte des Jungen "Lo Keutpeng" dem nachweislich in Kambodscha ein Fuss abgehackt wurde um ihn als 5Jähriger den Thais zu verkaufen die ihn dann Betteln ließen. Ich hab ihn als 13Jährigen auf der Fussgängerüberführung wo er arbeitete, "in erstklassiger Lage" an der "Sukhumvit Road" nähe Hotel Ambassador einem Wahrzeichen in Bangkok's Unterhaltungs- und Geschäftsbezirk (bewusst) getroffen.

Ich habe aber später bewusst nie diese meine Geschichten in Foren gebracht die Schockieren. Und warum nicht. Weil es diese Geschichten Millionenfach schon gibt (eben wie vorstehend), und echt Milliardenfach während meines Lebens Global um mich herum geschahen und geschehen. Ja Geschichten sind grausig-schön, aber der Mensch ändert sich wegen "Geschichten" nicht. Das hab ich in meinem langen Leben erfahren müssen. Schönen Tag ihr all... L-)
Nur wer Negatives wahr'nimmt, kann auch Positive genießen.
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tom
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Re: Warum mich in Kambodscha ein kleiner Bub anbrüllt

#3

Beitrag von tom »

Ich finde den Schlussabschnitt welcher der Autor der Zeilen geschrieben hat sehr nachdenkenswert:
War es falsch, dem Jungen nichts zu kaufen? Wäre es nicht besser gewesen, als gar nichts zu tun? Was nützt es ihm überhaupt, wenn er zur Schule geht? Um danach keinen Job zu finden? Braucht er wirklich eine Ausbildung, um danach wie alle anderen Tuk-Tuk-Fahrer zu werden?

Und vor allem: Was hätte ich sonst tun sollen?
Kambodscha kenne ich persönlich nicht, ich stelle mir aber aufgrund dessen was man so hört und sieht vor, dass die allgemeine Lebenssituation für Kinder dort wirklich sehr oft nicht gut ist. Ich bin grundsätzlich auch der Meinung dass es gut ist, in so einem Fall nichts zu geben. Und zwar nicht wegen den bemitleidenswerten Kinder sondern den Strippenziehern im Hintergrund. Ich bin der festen Überzeugung dass solche Machenschaften und Ausbeutungen erst aufhören, wenn damit kein Geschäft mehr zu machen ist. Aber wie kann man als Besucher dennoch etwas tun, damit sich die Perspektiven der Kindern verbessern? Was soll man unterstützen?

Gruss Tom
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Johnboy
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Re: Warum mich in Kambodscha ein kleiner Bub anbrüllt

#4

Beitrag von Johnboy »

Vor vielen Jahren hier inVientiane , wir sitzen in einen Restaurant mit den billig plastic Stühlen am Restaurant , nur noch Gräten vom Fisch über .Da kommen 3 Kinder und fragen nach den Gräten . Was wollt ihr damit ?

Müssen sie Zu Hause abliefern .

Ok , ihr esst hier und es gibt Fisch und Reis ..... Die hatten ihre helle Freude am Nachbartisch .
Essen und Beischlaf sind die großen Begierden des Mannes - Konfuzius - oder so
ab 60 fällt BEISCHLAF weg !

Willi Wacker
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Re: Warum mich in Kambodscha ein kleiner Bub anbrüllt

#5

Beitrag von Willi Wacker »

...so handhaben wir das auch ...
Hunger ? ...hinsetzen und essen
das ist fair und hilft sofort
...wer im Kreis geht spart sich den Rückweg
wer im Kreis denkt spart sich den Durchblick...

" Arroganz ist die ekelhafteste Eigenschaft "

henrik
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Re: Warum mich in Kambodscha ein kleiner Bub anbrüllt

#6

Beitrag von henrik »

Hallo Zusammen,
Willi Wacker hat geschrieben:...so handhaben wir das auch ...
dem schliesse ich mich an. Ich Hefei (China) hab ich mal einem Strassenkind eine Flasche O-Saft gegeben - das ist besser als Geld.

Das wirklich traurige ist doch, dass man die wirklich Beduerftigen nicht von ueblen Schnorrern unterscheiden kann:

In Berlin habe ich mal bettelnde "Sinti und Roma" gesehen (Frau und Kind) .... ein paar Meter entfernt von der Gedaechtniskirche. Die Alte sah aus, als wuerde sie es nicht mehr lange machen, aber dann hielt ein schwarzer Benz am Strassenrand, die getoente Scheibe ging runter, und ich war erstaunt wie schnell die auf einmal laufen konnte um das Geld durchs Fenster zu reichen. Danach hat sie wieder jammernd da gehockt.

Die wirklich Beduerftigen gehen allerdings leider meistens leer aus ...

Zu Deinem Beispiel @Tom: Ich glaube Kambodscha ist immer noch tief traumatisiert und muss erstmal zu sich finden - das war jedenfalls mein Eindruck.

Wie ist das eigentlich in Thailand: wird da z.B. Waisen im Tempel geholfen ?

Viele Gruesse,
Henrik
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ZH-thai-fun
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Re: Warum mich in Kambodscha ein kleiner Bub anbrüllt

#7

Beitrag von ZH-thai-fun »

Willi Wacker hat geschrieben:...so handhaben wir das auch ...
Hunger ? ...hinsetzen und essen
das ist fair und hilft sofort
Kann ich ausschließlich bei Kindern nicht ganz unterstützen.
Fast alle Kinder -Schorrer -Bettler oder -Verkäufer von irgendwas haben Beobachter, Masters und Einzieher im Hintergrund. Eben die die von den Kindern leben, und wehe es kommt zu wenig oder sie sehen eines Ihrer "Opfer" mit anderen Essen, dann gibt's Abend z. B. die Belohnung auch in Form von Essen nicht.

Natürlich denken viele, wenn man den Kindern nichts mehr gibt, hören diese Schandtaten von alleine auf. Das ist zu wenig weit gedacht, da in dem Augenblick da man ein Kind betteln sieht, die Tatsache ist, dass dieses Kind nur Glücklich ist wenn die "Einnahmen" an diesem Tag stimmen! Ist halt wieder so ein Fakt, wo das böse gegen das gute gewinnt... weil man, so auch die Justiz, der Kriminalität immer hinterher hinkt...
Nur wer Negatives wahr'nimmt, kann auch Positive genießen.

Willi Wacker
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Re: Warum mich in Kambodscha ein kleiner Bub anbrüllt

#8

Beitrag von Willi Wacker »

...Max
es soll auch Kinder geben hinter denen keine Mafiastrukturen stecken
keine versoffenen und prügelnden Eltern
und es soll auch Kinder geben welche einfach nur Hunger haben !!
würde ich jedes Mal eine halbe Std. Überlegungen anstellen
hätte sie nix zum Essen und mir würde es möglicher Weise nicht mehr schmecken...
...wer im Kreis geht spart sich den Rückweg
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tom
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Re: Warum mich in Kambodscha ein kleiner Bub anbrüllt

#9

Beitrag von tom »

Also ich habe in der Tat auch schon 2-3 Mal versucht bettelnden Kinder direkt etwas zum essen oder trinken zu geben. Jedes Mal hatten die ziemlich Angst und schauten aufgeregt in der Gegend rum... Es war offensichtlich dass da jemand das ganze beobachtete. Und die Kinder sind dann auch jedes Mal wortlos davon gelaufen.

Gruss Tom

KoSamed
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Re: Warum mich in Kambodscha ein kleiner Bub anbrüllt

#10

Beitrag von KoSamed »

Das erste Mal war ich schockiert, als ich in Rom angesichts des Vatikans von einem katholischen Professor dahingehend aufgeklärt wurde, den in dieser Straße sitzenden Kindern mit Babies im Arm nichts zu geben, da dies organisiert sei und den Bedürftigen selbst nicht helfen würde.
Inzwischen konnte ich in verschiedenen Städten Europas(Gent, London, Belfast,Dresden) sehen, wie organisiert täglich "bedürftige "
Personen vor gut frequentierten Geschäften plaziert wurden und im Hintergrund an Kaffeetischen die "Zuhälter"saßen.
Nunmehr haben wir uns eine eigene Taktik zugelegt. Wir kennen in jeder Stadt die "üblichen Bedürftigen"welche nie aggresiv betteln.Und die laden wir dann zu uns ein, sprechen mit Ihnen ,beköstigen sie,fragen sie nach ihren Bedürfnissen und geben ihnen etwas Geld und Kleidung.So ist über die Jahre hinweg bereits ein vertrauensvolles Verhältnis entstanden welches beide Seiten befriedigt.
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